Wie auch andere QiGong-Formen wirken die Chan Mi Gong Übungen auf mehreren Ebenen; Jing (körperliche Ebene), Qi (energetische Ebene) und Shen (die geistige Ebene; Entwickeln von besonderen Fähigkeiten, Erkennen von tieferen Zusammenhängen). „Erst muss sich das Jing entwickeln, damit sich Qi vermehren kann, um Shen entstehen zu lassen“ (Ursula v. Wilcke).
Die Basisübung
Die sanfte Wirbelsäulenbewegung, durch die das Qi angeregt und im ganzen Körper zum Fließen gebracht wird, ist die Basisübung des Chan Mi Gong. Sie ist die Grundlage aller weiterführenden Übungen, die zur Stärkung und zum Ausgleich von Qi geübt werden. Auch die zum Teil komplexe Übungsfolgen zur Qi-Aufnahme und Qi-Abgabe, oder die Praktiken zur Diagnose und Behandlung bauen auf der Basisübung auf.
Auch als eigenständige Übung ist die Basisübung eine Bereicherung für jede andere Qi Gong Form, da die differenzierten Wirbelsäulenbewegungen zu einer äußerst feinen Durchlässigkeit in allen Wirbeln und Gelenken führen. Therapeutisch lässt sich die Basisübung vor allem auch bei Wirbelsäulenerkrankungen und Bewegungseinschränkungen aller Art erfolgreich einsetzen.
Die Basisübung besteht aus drei Grundbewegungen der Wirbelsäule vor-und-zurück, seitwärts und Drehung (Yong Dong, Bai Dong und Niu Dong) und Ru Dong, einer sich in alle Richtungen ausdehnenden Bewegung.
Bei den ersten drei Wirbelsäulenbewegungen „Yong Dong“, das Wellen nach vorne und zurück, „Bai Dong“, das seitliche Pendeln und „Niu Dong“, das Drehen, wird das Qi in der Wirbelsäule mit äußerst sanft ausgeführten Bewegungen angeregt und mit der Vorstellungskraft vom Steißbein beginnend bis zum letzten Halswirbel und von dort wieder zum Steißbein zurück geführt. Während die Steißbeinbewegung die gesamte Wirbelsäule in Bewegung bringt, führt man die Aufmerksamkeit von einem Wirbel zum nächsten. Ziel ist es, nach und nach jeden einzelnen Wirbel wahrzunehmen und bewusst zu bewegen.
Yong Dong
Wellen nach vorne und zurück
Bai Dong
Seitliches Pendeln
Niu Dong
Spiralförmiges Drehen
Die Innere Bewegung
In der Vorstellung zieht man Qi wie eine Lichtsäule durch alle Wirbel nach oben bis zum letzten Halswirbel und wieder nach unten zum Steißbein zurück. Erst die ungeteilte Aufmerksamkeit macht es möglich den Qi-Fluss bewusst zu lenken. Um den Qi-Fluss nicht zu unterbrechen werden die Bewegungen der Wirbelsäule mit der Vorstellung* weitergeführt, auch wenn in einigen Wirbeln noch keine Bewegung möglich ist. Der vielzitierte Satz, „wo Yi, da Qi“ sagt aus, dass Qi dahin geht, wohin man die Aufmerksamkeit richtet. Man könnte „Yi“ auch gleichsetzen mit dem inneren Blick oder der Absicht, sich das bevorstehende Tun vor Augen zu führen, und damit die Fähigkeit, sich etwas vorzustellen. Man stellt sich vor, wie Qi sich im Wirbelsäulenkanal ausbreitet und jeden Wirbel durchflutet.
* (vgl „Mit Qi Gong die Lebensenergie stärken“ aus dem Kapitel von Eva Rehle „das Üben mit der Vorstellungskraft“)
„Ru Dong“ ist die vierte Basis-Bewegung, in der die ersten drei Bewegungen ineinander fließen und sich zu einer immer wieder neu entstehenden freien Bewegung entwickeln. Mit Ru Dong wird das Qi im ganzen Körper verteilt. Je natürlicher und freier die Bewegung wird, umso leichter kann Qi alle Körperräume durchdringen.
Die besondere Art des Stehens
Für die gewünschte Wirkung und das Gelingen der Chan Mi Übungen ist die besondere Art des Stehens eine wichtige Voraussetzung. Es unterscheidet sich in manchen Punkten von anderen Qi Gong Methoden. Die Fersen stehen schulterbreit und die Zehenspitzen weisen leicht nach außen. Die Knie bleiben locker gestreckt und das Gewicht wird zu siebzig Prozent auf die Fersen verlagert. Als nächstes werden drei Punkte in einer geraden Linie übereinander gebracht, der Scheitelpunkt (Ba Hui), der Mittelpunkt am Damm (Hui Yin) und der Punkt, der in einem Lot genau unter dem Damm zwischen den Fersen liegt.
Das Stehen im Chan Mi Gong ist ein energetisches Austarieren dieser drei Punkte. Dabei soll das Qi der Erde in einer geraden Linie durch die Fersen aufwärts strömen und das Qi des Himmels durch den Scheitel ungehindert nach unten fließen. Bei dieser Art des Stehens geht es darum, mit so geringem Muskeleinsatz wie nur irgend möglich, aufgerichtet zu sein. Jedes Gelenk soll dabei so locker und entspannt sein, so dass es sich schon durch einem ganz geringen Impuls bewegen lässt. Dieses entspannte Stehen führt zu einer Öffnung in den Gelenken, die mit einer konkreten Aufrichtung einhergeht.
Wirkung und Ziel der Basisübung
Die sanften Wirbelsäulenbewegungen regen die Funktion der inneren Organe an und stimulieren das Nervensystem. Die Bewegung am Steißbein regt den Qi-Fluß an und wirkt beruhigend und erdend. Die umliegenden Akupunkturpunkte des Steißbeins „Changqiang“ (Du 1) und Yaoqi (PaM 14), die mit dem Wurzelchakra (Damm) verbunden sind, stärken den eigenen Stand, bauen Verspannungen in der Wirbelsäule ab, und beruhigen das Zentrale Nervensystem.
Das Qi, das durch diese Bewegungen zum Fließen gebracht wird, vermag auch alte bzw. chronische Blockaden in Bewegung zu bringen, die sich durch kontinuierliches und sanftes Üben nach und nach auflösen lassen. Dieses sanfte Auflösen schafft ungeahnte körperliche und geistige Bewegungsfreiheiten!
Die freiere Beweglichkeit und das selbstbestimmte weiche Auflösen von Verspannungen durch die Basisübung ist neben dieser im wahrsten Sinn befreienden Wirkung der erste Schritt zu weiteren Stufen im Chan Mi Gong.
Die Basisübung ermöglicht es so durchlässig zu werden, dass die Bewegung, die mit der Vorstellungskraft weiter geführt wird, den ganzen Körper in eine feine Schwingung versetzen kann, die sich über die Körpergrenze hinaus ausdehnt. In den weiterführenden Übungen lernt man mit der Methode des Ausdehnens das Qi des Kosmos aufzunehmen. Diese Erfahrung kann zu Kraftquellen führen, die neue Dimensionen eröffnen.